Der folgende Artikel über die damals noch seltene Feier der Goldenen Hochzeit eines bedeutenden Mitglieds der jüdischen Gemeinde legt ein beredtes Zeugnis von der Zugehörigkeit dieser Gemeinde zur gesamten Stadt Neuwied ab. Er spiegelt die Begeisterung und Achtung einer Zeit jüdischer Integration und ist für uns Heutige bedrückendes Zeugnis vom schrecklichen Gesinnungswandel  innerhalb von 70 Jahren.

 

Meldung zur Goldenen Hochzeit des Ehepaares Jacob Löb1 in der Neuwieder Zeitung Nr. 78 v. 1.7.1863

Neuwied, den 29 Juni 1863

Am 24. d. Mts.feierten die isrealischen Eheleute Jacob Löb2, von hier, beide noch ungewöhnlich rüstig, ihre goldene Hochzeit. Diese seltene Feier ging in würdigster Weise von Statten.

In der dem Festtage vorhergehenden Nacht wurde von liebender Hand das Wohnhaus des Jubel=Paares mit Mayen und Kränzen geschmückt. - Die  r e l i g i ö s e   F e i e r  in den einfach gezierten Räumen der Synagoge, Vormittags halb 11 Uhr, versammelte eine dichtgedrängte, den verschiedensten Confessionen angehörige Menge Theilnehmender und wurde von dem Religions=Lehrer Herrn Steinweg durch ein ergreifendes Gebet geleitet. Hierauf recitirte derselbe den Psalm 91 im Ur-Texte und in deutscher Übertragung, an dessen Ende sich die Motette: „Lobe den Herrn meine Seele“ in vierstimmigem Chore anschloß. Es folgte nun die eigentliche Feier=Rede. Wenige Augen sah man während derselben thränenleer. Sie betonte nicht  nur die Gnade Gottes, die sich dem Jubel=Paare sichtlich erwies, sondern auch die Liebe der Menschen, und steigerte sich zum höchsten Pathos bei der Entrollung eines Bildes wahrer, allgemeiner Menschenliebe. Nachdem der hierauf folgende Männer=Chor verklungen, überreichte der Königl. Bürgermeister H e r r  v. d.  B e e k im Namen  I h r e r  M a j e s t ä t  d e r  K ö n i g i n  E l i s a b e t h  dem Jubel-Paare mit einer längeren dem Akte angemessenenen ernsten Ansprache das „den christlichen und israelitischen Mitbürgern gemeinsame heilige Buch“, die Psalmen David's, mit einer eigenhändig unterschiebenen Würdigung Ihrer Majestät versehen. D a s  D u r c h l a u c h i g s t e  F ü r s t e n - P a a r   z u  W i e d   hatte dem Jubel=Paare die heilige Schrift alten Testaments mit eigenhändig eingezeichneten Widmungen zugedacht und solche, anreihend an die Königliche Gabe, durch den Fürstlichen Kammer-Director, Freiherr  v o n  B i b r a  übergeben lassen. Herzliche und erhebende Worte begleiteten auch  diese Übergabe. - Es trat nun der Israel. Gemeindevorstand vor das  Jubel=Paar hin, überreichte demselben mit einer kurzen ergreifenden Ansprache einen prachtvollen mit Wein gefüllten Kelch, „einer Liebesgabe der Gemeinde, an welcher der Reiche, wie der Arme gleichen  Antheil habe“, und forderte den Jubilar auf, „diesem Symbole eines heiteren und glücklichen Lebens=Abends durch den rituellen Segensspruch über die Frucht des Weinstocks die Weihe der Religion zu ertheilen.“ Nachdem dieser Aufforderung entsprochen erklang von der Sänger=Tribüne herab, als Schluß der kirchlichen Feier der herrliche Psalm: „Herr unser Gott! wie groß bist Du!“

Nach und aus dem Gottesdienste wurde das L ö b' s c h e  Ehepaar vom israelistischen Gemeinde=Vorstande und von weißgekleideten Mädchen, welche Kränze trugen und den Weg mit Blumen bestreuten, geleitet. Die vierstimmigen Gesänge waren eine meisterhafte Ehrenleistung der Mitglieder der hiesigen Liedertafel.

Auch im weiteren Verlauf des Tages wurden von den Jubilaren von Privaten und Vereinen, so von dem älteren und jüngeren israelistischen Frauen-Verein, vom israelitsichen Jünglings-Vereine u.a. entsprechende Angebinde überbracht. Ein Diner, welchem der Hr. Bürgermeister  v. d.  B e e c k  und der Dirigent der Liedertafel, Hr.  L ö c h e r,  beiwohnten, und während dessen der Königlichen und Fürstlichen Huld-Geschenke durch sinnige Trinksprüche auf das Wohl der Hohen Geber gedacht wurd, so wie eine abendliche Reunion in den brilliant erleuchteten Räumen des „alten Riesen“, Letztere den Typus eines wahren, ungetrübten Volksfestes an sich tragend, schlossen diesen seltenen Jubeltag.

Der Eindruck aber, wie an diesem Feste sich Christ wie Israelit betheiligte, wie sie  g e m e i n s a m... in Andacht beteten, in Rührung weinten, in Liebe Glückwünsche aussprachen und in Frohsinn sich freuten; er ist und bleibt die schönste Frucht des Tages.

Verantwortlicher Redakteur:  W.  S t r ü d e r  in Neuwied.

 


1Abschrift unter Beibehaltung von Rechtschreibung und Druckbild. - Da in der Zeitung normalerweise der Ort hinzugefügt wurde, wenn es sich um eines der Dörfer der Umgebung handelte, die zur Neuwieder Gemeinde gehörten, kann man davon ausgehen, dass es sich um Neuwied Innenstadt handelt.

2Bei Jacob Löb handelt es sich sehr wahrscheinlich um den Vorsteher der jüdischen Gemeinde von 1853 - 56. Er starb am 14.4.1869 und ist auf dem jüdischen Friedhof in Niederbieber (Grab B60a) beerdigt.

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