Elisabeth (Liesel) Nick erinnert sich an Alex Platz

„Bis zum Herbst 1942 wurden am Haus in der Rommersdorfer Straße Bimssteine gemacht – zuletzt nur noch mit Platze Max [Anmerkung: Es muss sich um Alex Platz gehandelt haben, Max Platz emigrierte bereits 1937 mit seinen Eltern und dem Bruder Leo nach Bogota / Kolumien] – einem Juden, der uns als Arbeiter zugeteilt worden war und irgendwann weg musste.

Als er sich verabschiedete, brachte er jedem von uns ein Geschenk mit. Ich bekam einen Silberlöffel von ihm, den ich heute noch habe. Zwei oder drei Tage stand der Zug mit den Juden noch auf dem Neuwieder Bahnhof und Christian [Anmerkung: Christian Heß war der Vater von Liesel Nick, geb. Heß] fuhr jeden Morgen mit seinem Einpedalenrad nach Neuwied und brachte Pellkartoffeln und Brot zum Zug. ...

Jedenfalls wurden sie schon beim „Verladen“ in Männer- und Frauengruppen getrennt. Die zwei jüdischen Gladbacher Ehepaare – Platze und Levis – hatten ihre wenigen Sachen, die sie sich einpacken durften, zusammen gepackt. (Sie lebten schon vor der Kristallnacht im kleinen Levis-Haus zusammen.) Alles wurde in Neuwied auf die Erde geschüttet und jeder musste sich seine Teile raussuchen – hauptsächlich eine Tasse, einen Teller, einen Löffel und eine Gabel. Messer durften sie nicht haben. Das hat Max [Anmerkung: richtig muss es Alex heißen] Christian noch erzählen können. ...“

 

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Frau Anneliese Stockhausen, geb. Lahr, erinnert sich an ihre Nachbarn Frida und Julius Levy

„Unsere nächsten Nachbarn waren Levys. Wir Kinder sagten nur Onkel Levy und Tante Frida. In gewissen Zeiten gab es immer Matzen für uns Kinder. Bekamen wir ein Kalb, hat Herr Levy immer geholfen. Auch wenn der Vater im Feld war, hat Herr Levy den Stall überwacht. Sollten Hühner geschlachtet werden, hat Herr Levy das gemacht. In Köln hatten Levys Verwandte, die oft zu Besuch kamen, die Jett mit der Tochter Ruth.

1937 zu meiner Kommunion schenkten Levys, die natürlich zur Feier eingeladen waren, mir ein Silberkettchen mit Kreuz; das habe ich heute noch, und seit der Kristallnacht ist es mir heilig. Das gebe ich nicht her; das nehm ich mit ins Grab.

Die Kristallnacht war für uns Kinder – auch für mich – ich war ja schon 11 Jahre alt – ganz, ganz schlimm. Zu der Zeit wohnte schon Familie Platz, Max und Rosa (ich glaube, die war aus Bacharach) bei Levys. Wir hatten Turnen, und ich kam die Kirchstraße und Sandgasse herunter aus der Schule. In der Kirchstraße kam uns ein Auto entgegen. Vorne saßen zwei Mann in Uniform, und hinten saßen Max  und Julius. Sie kamen nach 2 oder 4 Tagen (genau weiß ich das nicht) wieder heim.

In der Sandgasse war es dann zu schrecklich für ein Kind. Alles lag auf der Straße – meist kaputt. Rote-Rüben-Brühe lief die Straße hinab; das sah aus wie Blut. Das sehe ich heute noch vor mir. Im Fenster – das war auch kaputt – hing an einem Besenstiel eine (von den Nazis?) beschmutzte Unterhose von Tante Frida. Das war so beschämend.

Etwas später waren alle vier Personen mal eine kurze Zeit in Sayn in der Anstalt, kamen aber (nach wie langer Zeit, weiß ich nicht) wieder zurück (ich glaube wegen Platzmangel). Sie hatten überhaupt nichts mehr, kamen auch nicht mehr zu uns rüber, weil es ihnen verboten war.

Die Mutter ließ uns Mädchen immer einiges hinter ihr Hoftürchen legen: eine Flasche Milch, ein paar Eier, etwas Gemüse und Kartoffeln. Dann kam einmal ein Mann, der sagte zu den Eltern: Gebt acht! Ihr werdet beobachtet! Sonst wird bei Euch auch entrümpelt. Auch als meine Eltern nach der Kristallnacht die vielen Scherben wegkehrten, wurden sie gewarnt und weggeschickt: Die Scheiße sollen die selber wegräumen.

Irgendwann 1942 waren alle vier Juden dann zusammen weg, und man hat nie mehr etwas von ihnen gehört.“

 

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Die Juden in Gladbach – Familie Platz

 

Albert Schwan aus dem Ortsteil Gladbach erzählt: (Er kannte die Kinder, Ehegatten und deren Abkömmlinge der Eheleute Platz außer den Töchtern in Kaisersech und Köln persönlich.)

„Ich gehe von den Eheleuten Platz aus. Die Vornamen sind mir nicht bekannt [1]. Sie wohnten in der heutigen Straße An der Marienkirche 18 / Ecke Obergasse. Sie erlebten das damals seltene Fest der Goldenen Hochzeit. Die Feier fand unter großer Anteilnahme der übrigen Dorfbewohner im Saale Kiefer statt. Der Gesangverein brachte ihnen ein Ständchen.

Aus dieser Ehe gingen drei Söhne und fünf Töchter hervor. Der Sohn Alex Platz – verheiratet, keine Kinder – übernahm vom Vater die Metzgerei im elterlichen Haus, hat bis zum Verbot geschächtet. Nach der Zwangsschließung des Geschäftes arbeitete Alex bis zur Deportation im Schwemmsteinwerk Christian Heß in der Rommersdorfer Straße. Das Haus erwarb Metzgermeister Jakob Fergen, der es nach dem Krieg an Klempner- und Installateurmeister Ewald Trautzenberg verkaufte. Dieser riss das alte, fast baufällige Haus ab und errichtete das heutige Gebäude als Geschäftshaus.

Der Sohn Moses - Viehhändler, verheiratet, zwei Söhne, Kurt und Leo - wohnte in Oberbieber, Gladbacher Straße 23. Der Sohn Julius – Viehändler, verheiratet mit Juliane, genannt Jula – war Vorbeter in der Synagoge Niederbieber, die er jeden Samstag (Sabbat) festlich gekleidet besuchte. Julius und Jula hatten zwei Söhne, Max, Jahrgang 1908, und Leo, Jahrgang 1913.

Diese Familie wohnte in der Rommersdorfer Straße 3. Leo unterhielt im elterlichen Haus ein gut florierendes Geschäft. Er verkaufte und reparierte Fahrräder des Fabrikats Goldrad und Radios des Fabrikats Saaba. Als einzige Familie ihrer Sippe übersiedelte sie nahezu zum letzten Termin nach Bogota in Kolumbien. Sohn Max heiratete dort und kehrte nach dem Krieg mit Frau, Tochter und Sohn Alexo nach Gladbach zurück. Nach seinem Tod wurde er auf dem jüdischen Friedhof in Koblenz bestattet.

Sohn Leo heiratete auch, wurde Geschäftsmann und Vater von fünf Kindern. ... Das Haus in der Rommersdorfer Straße 3 erwarben Ewald und Maria Pies. Nach deren Tod verkauften es die Kinder 2005 an Übersiedler. Die Tochter Sybille, genannt Billa, war mit Salomon (der Vorname ist mir nicht bekannt) verheiratet, keine Kinder. [2] Sie wohnten bis zum Umzug nach Heimbach-Weis in der jetzigen Straße An der Marienkirche 27.

Die Tochter Frida war verheiratet mit Julius Levi aus Altstadt bei Hachenburg, keine Kinder. Julius Levi kam schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Das Haus Sandgasse 3 wurde von Toni und Gertrud Born erworben; es ist heute im Besitz ihres Sohnes Horst Born.

Die Tochter Gina, genannt Schina, war leicht behindert, verstarb relativ früh und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Niederbieber bestattet. Die vierte Tochter (der Vorname ist mir nicht bekannt) war mit einem Pferdehändler aus dem Raum Kaisersesch verheiratet. Die fünfte Tochter (auch ihr Vorname ist mir nicht bekannt) [3] war mit einem Pferdemetzger in Köln verheiratet."

Herr Schwan erzählte außerdem, dass das Kreuz auf dem Leichenwagen bei einem jüdischen Begräbnis einfach abgeschraubt wurde. – Da die jüdischen Familien über die Westerwalddörfer weit verstreut lebten, wurde, um Werbungen zwischen den jungen Leuten zu ermöglichen, jährlich ein sogenannter „Schicksenball“ [4] abgehalten.“

 


[1] Dora Platz, geborene Salomon, geboren am 6. März 1848 in Weis und Isaac Platz, geboren am 20. Juni 1849 in Dirmerzheim
[2] Sybille Salomon, *Platz, Jhg. 1878, verh. mit Benny Salomon (Jhg. 1854), beide wurden in Izbica ermordet; sie erhielten Stolpersteine in Heimbach-Weis, Turmstraße 5.
[3] Henriette Platz geboren am 26. November 1889 in Gladbach; sie erhielt einen Stolperstein in Gladbach, An der Marienkirche 18.
[4] „Schickse“ = jiddisch „Mädchen“.

 

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Hans Schneider: Gladbacher Alltag zwischen den beiden Weltkriegen

 

Aus: „Gladbacher Alltag zwischen den beiden Weltkriegen“ von Hans Schneider, entnommen der „Festschrift aus Anlaß der 900-Jahr-Feier des Ortes“ („Gladbach – früher und heute“) hg. von Friedrich Felgenheier (Neuwied-Gladbach 1998); S. 90 ff.:

 

„Das politische Leben zeigte sich uns Kindern von einer sehr bunten Seite. Ich erinnere mich z.B. an einen Sonntag, an dem es im Dorf drei Aufmärsche gab. Zuerst zog der rechtsorientierte Stahlhelm auf, dann das SPD-nahe Reichsbanner, schließlich die KPD von der äußersten Linken, deren Kolonnen von einer Schalmeienkapelle aus Bendorf angeführt wurden. Die Nationalsozialisten traten in unserem Dorf erst spät, aber sogleich rabiat in Erscheinung, indem sie bei einer Kundgebung auf dem Kirmesplatz einen Redner, der sich gegen sie stellte, vom Podium zerrten. .....

Vor dem 30. Januar1933, an dem Hitler zum Reichskanzler berufen worden war, spielten die Nationalsozialisten in Gladbach praktisch keine Rolle. Erst einige Wochen nach diesem Termin wurde ein Stützpunkt errichtet, später eine Zelle, die zur Ortsgruppe Heimbach gehörte. Der Zellenleiter und die Funktionäre in den zahlreichen Untergliederungen der Partei waren durchweg ehrenwerte Bürgerinnen und Bürger und zum großen Teil sicher in guter Absicht tätig. Objektiv aber dienten sie einem Regime, dessen verbrecherischer Charakter nach und nach erkennbar wurde. Sie unterschieden sich damit nur wenig von der Masse der Bevölkerung , die – teils verblendet, teils eingeschüchtert – tat, was die Machthaber anordneten.

Nur wenige leisteten Widerstand und mußten dafür büßen, wobei Denunzianten hinter den Kulissen sehr wahrscheinlich mitwirkten. Johann Hecken, Valentin Kern sowie Peter Weber stellten sich gegen das neue System und wurden verurteilt. Ein aus Kassel kommendes fliegendes Standgericht fällte in Neuwied seinen Spruch. J.Hecken und V.Kern erhielten Freiheitsstrafen, P.Weber kam in ein Konzentrationslager, aus dem er nach ein paar Jahren zurückkehren konnte. Valentin Kern konnte zur Beerdigung seiner Mutter auf Urlaub kommen. Nachbarn und Gesinnungsfreunde unterstützten seine Frau, die sich mit fünf Kindern durchschlagen mußte.

Auf der Schattenseite des Lebens standen seit dem Beginn der Naziherrschaft die acht jüdischen Gladbacherinnen und Gladbacher. Sie lebten seit Jahrzehnten in bestem Einvernehmen mit der übrigen Bevölkerung. Es waren die Metzgerfamilie Alex Platz, die an der Ecke Obergasse/Kirchstraße (An der Marienkirche) ihr Geschäft hatte, Leo Platz mit seinen Eltern und einem Bruder im heutigen Haus Rommersdorfer Straße 2, wo man Fahrräder und Radios kaufen konnte, sowie Julius Levy und seine Frau Frida Levy [1] , geborene Platz. Die meisten Mitbürger ignorierten die NS-Parole Kauft nicht bei Juden, obwohl zeitweise ein uniformierter SA-Mann aus Heimbach die Kunden beobachtete. Ein anderes Beispiel dafür, daß Gladbacher den Machthabern zum Trotz zu ihren jüdischen Nachbarn standen, war das Verhalten des Bimsfabrikanten Christian Heß. Als Alex Platz seinen Betrieb nicht weiterführen durfte, gab er ihm einen Arbeitsplatz.

Welche Probleme aus dem Umgang mit Juden erwachsen konnten, und wie die Bürger auf Nazimaßnahmen reagierten, zeigt folgende Episode: Es mag im Jahre 1938 gewesen sein, als das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer eine Notiz brachte, die ich leider nur sinngemäß wiedergeben kann: In der Gemeinde Gladbach bei Neuwied trifft sich jeden Sonntag in der Gaststätte Hillen eine seltsame Runde. Der Arbeiter Peter Blum, der Bäckermeister Ludwig Linzenbach und der Fabrikant Johann Weinand spielen mit dem jüdischen Metzgermeister Alex Platz Skat. Peter Blum I. tut dies, obwohl er Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (NS-Organisation für die Arbeiterschaft) ist. Die Skatbrüder trafen sich danach dennoch, bis Alex Platz mit Rücksicht auf die anderen wegblieb. Mein Onkel Peter Blum mußte sich beim Chef der Bimsfirma Raab, wo er beschäftigt war, melden und erhielt offiziell einen Tadel. Danach ging der Direktor quasi zum privaten Teil der Unterredung über und schenkte ihm eine Zigarre. ...“


[1] Im „Gedenkbuch“ des Bundesarchivs (Koblenz 1986) wird der Familienname „Lewy“ und der Vorname „Frida“ geschrieben.

 

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