Dr. Max Wolf

jüdischer Tierarzt

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Dr. Max Wolf

Dr. Max Wolf wurde am 21. März 1890 in Neuwied als Sohn des Kaufmanns Salomon Wolf und Berta Wolf, geb. Spatz, geboren. 1912 promovierte er in Stuttgart und erhielt im selben Jahr seine Approbation. Vom 2.8.1914 bis 31.3.1919 war er Soldat, danach Oberveterinär der Reserve. Er praktizierte ab 1919 als Tierarzt in Horb am Neckar. Von 1920 bis 1933 war er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei.

Nach diversen Tätigkeiten als Sachverständiger und als Tierarzt zwischen 1923 und 1929, zuletzt als Städtischer Veterinärrat in Stuttgart, wurde er am 21.3.1933 durch Oberveterinärrat Dr. Max Seitter "beurlaubt". Sturmbannführer Bönig hatte gegenüber Seitter angekündigt, SA-Leute würden Wolf am 23.3.1933 am Betreten des Schlachthofes hindern; Wolf kam der dienstlichen Anordnung der Beurlaubung nach.

Am 27.3.1933 wird Wolf vom Steuerberater August Bönig angezeigt: Er sei Mitlglied einer kommunistischen Intelektuellengruppe und führe dauernd eine Waffe mit sich. Er habe gesagt: "Wenn sie mich aus dem Schlachthof treiben, werde ich alle niederschießen". In einer Stellungnahme vom 20.4.1933 macht Wolf folgende Aussagen: Er habe seit 1915 eine belgische Selbstladepistole (Kal. 6,35 mm) und sei dauernd im Besitz eines Waffenscheines. Er brauche die Waffe zu dienstlichen Zwecken (Erschießung von Hunden und Katzen). Er sei kein Mitglied einer kommunistischen Partei oder Gruppierung. Seine angeblichen Äußerungen sei eine Denunziation. Er habe  so eine Äußerung nie gemacht. Die Waffe wurde ihm abgenommen.

Ab 22.4.1933 wurde er nur noch auf Bestellung zur Fleischbeschau angefordert, da die Stuttgarter Fleischerinnung sich am 13.4.1933 beschwert hatte, die Visitiation durch Max Wolf sei nicht mehr erwünscht.

Am 27.4.1933 wird Wolf durch Kriminalkommissar Wäger für einen Tag in Schutzhaft genommen, da eine bedrohliche Situation gegen ihn seitens Gewerbetreibender aufgekommen sei. Am 7.3.1933 wurde Wolf zum 10.1.1934 gekündigt. Er erklärte hierzu:

"Ich bitte, dass die Gewerbetreibenden, die Beschwerden gegen mich vorzubringen haben, diese im einzelnen darlegen, damit alles untersucht werden kann. Ich bin überzeugt, dass sich alsdann sofort ergibt, dass die Beschwerden ungerechtfertigt sind. Die Beschwerden kommen nur daher, dass ich verpflichtet bin, tiergesundheitspolizeiliche Vorschriften gegen die Metzger und Händler durchzuführen. Es sind übrigens nur ganz wenige, die sich gegen meine dienstliche Geschäftsführung auslassen. Weitaus die meisten Metzger und Händler haben nichts gegen mich einzuwenden. Ich bitte, über die ganze Angelegenheit noch die Vorstände der Metzgerinnung zu hören."

 Am 7.8.1933 erfolgte die offizielle Wiederaufnahme des Dienstes mit der Einschränkung, keine Geschäfte mehr zu visitieren. Auszug aus der Süd- und Mitteldeutschen Fleischerzeitung Nr. 55 v. 15.7.1933:

"An sämtliche Metzgermeister von Gross-Stuttgart!
Auf Grund seiner Frontkämpfertätigkeit wird Veterinärrat Dr. Max Wolf in nächster Zeit seinen Dienst im Stuttgarter Schlachthof wieder aufnehmen. Vom Kontrolldienst in den Metzgerbetrieben wird Dr. Wolf jedoch befreit werden. Dieser Dienst wird von den übrigen Herren Tierärzten versehen. Ich erwarte dass Störungen oder gar Kränkungen irgendwelcher Art von unserer Stelle nicht vorkommen. Ich warne vor direkten oder indirekten Umtrieben gegen die Verordnung des Bürgermeisteramts.
Stuttgarter Fleischerinnung (gez. Karl Bayer, Obermeister. Stuttgart, den 13. Juli 1933.)"

Aus der Petition der Direktion des Städt. Stuttgarter Vieh- und Schlachthofs:

"...  An der Dienstführung des Dr. Wolf ist von hier nichts auszusetzen. Er ist fleißig, pünktlich und gewissenhaft. Auch das Zusammenarbeiten mit den Gewerbetreibenden hat, wohl mit unter dem Einfluß der in Abschrift angeschlossenen Warnung des Innungsobermeisters vom 13.Juli ds Js., zu berechtigten Anständen und zu begründeten Aussetzungen nicht geführt. Wenn in  einigen wenigen, an sich belanglosen Fällen von einzelnen Gewerbetreibenden versucht worden ist, Dr. Wolf etwas anzuhängen, so ist einmal zu sagen, dass diese Gewerbetreibenden in den mir bekannt gewordenen Fälllen im Unrecht waren, dann dass jeder gewissenhafte Beamte des Vieh-und Schlachhofs, bedingt durch die Art des Dienstes und durch die häufig notwendigen Eingriffe in das Eigentum von Gewerbetreibenden, derartigen Angriffen in mehr oder weniger heftigem Grad fast täglich ausgesetzt ist und dass leider nicht selten durch Beleidigungen und sonstigen heftigen Angriffe gegen Beamte versucht wird, diese von der Erfüllung ihrer Dienstpflichten abzuhalten. Weder die Dienstführung und die Arbeitsleistungen von Dr. Wolf noch berechtigte und begründete Störungen im Zusammenarbeiten desselben mit den Gewerbetreibenden stehen m. E. einer Verlängerung des Dienstverhältnisses mit Dr. Wolf hindernd im Wege. gez. Schneider".

Daraufhin erfolgte am 23.12.1933 die Rücknahme der Kündigung aufgrund der obigen Petition des Direktors des städtischen Vieh- und Schlachthofs, Veterinärdirektor Gotthold Schneider, an das Bürgermeisteramt.

Obwohl Max Wolf 1935 das Ehrenkreuz für Frontkämpfer erhielt, wurde er am 9.10.1935 mit sofortiger Wirkung beurlaubt aufgrund der Anordnung des Innenministeriums vom 30.9.1935, nach der alle jüdischen Beamten zu beurlauben seien.  Ab 1.1.1936 erfolgte seine Versetzung in den Ruhestand aufgrund der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz § 4 (2). Als Frontkämpfer erhielt er ein Ruhegehalt, bezogen auf die letzten Dienstbezüge. Wolf stellte bald darauf einen Antrag auf Belassung im Amt; trotz Tierärztemangel und Petition seitens der Schlachthofdirektion wurde dieser am 19.5.1936 abgelehnt.

Max Wolf wurde nun Kassierer im Stuttgarter Ortsverein des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Am 11. November 1938 wurde er verhaftet und bis zum 11. Dezember 1938 im KZ Dachau unter der Nummer 23 100 registriert. Am 15.4.1939 gelang ihm die Ausreise in die Schweiz (seine "arische" Frau folgte im August 1939); von dort floh er im Dezember 1940 nach Lissabon und kam am 8.2.1941 in Montevideo / Uruquay an.

Dr. Max Wolf im Exil

Dort in Uruquay wurde ihm die Approbation verweigert. Er hätte seine Examina in einem anderen südamerikanischen Staat erneut ablegen müssen. In seiner Abwesenheit wurde in Nazi-Deutschland folgendes beschlossen: 1941 wurde Max Wolf die Staatsbürgerschaft gemäß zweiter Verordnung zum Reichsbürgergesetz aberkannt; seine Versorgungsansprüche verloschen. Von 1945 - 1960 übte er eine ehrenamtliche Tätigkeit als "Colaborator Técnico Docente" an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Montevideo aus.

Seine Bitte um Wiedereinstellung am Stuttgarter Schlachthof vom 21.3.1946 wurde verschleppt oder gar nicht bearbeitet. Insgesamt sechs Jahre wartete Wolf auf seine Wiedereinstellung. Der Beschluss des Gemeinderates der Stadt Stuttgart vom 4.7.1947, ihn mit Wirkung vom 1.6.1945 im Ruhestand zu belassen, erreichte ihn erst 1952. Obwohl also das Interesse als auch der berechtigte Anspruch auf Wiedereinstellung bestand, und nachweislich mehrere Stellen neu besetzt wurden, fand Dr. Wolf keine Berücksichtigung.

Ab 1.5.1945 erfolgte jedoch die Fortzahlung des Ruhegehalts und 1952 erhielt er eine Entschädigung für die Zeit vom 1.1.1936 bis 31.5.1945 von 7.326 DM.

Die Rehabilitation

Weiterlesen: Dr. Max Wolf
Stuttgarter Nachrichten v. 5.11.1962

Am 16.3.1960 wurde Dr. Max Wolf durch den Dekan der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Montevideo anlässlich der Immatrikulationsfeier "als ein- und erstmalig einem Veterinär seitens der Fakultät erteilte Ehrung für langjährige geleistete wertvolle Dienste" zugesprochen.

Im Herbst 1962 folgte die Erneuerung der Doktorwürde durch die Tierärztliche Hochschule Hannover. Der Vorgang ist nicht aktenkundig; Prof. Dr. Wilhelm Schulze, damals Direktor der Klinik für kleine Klauentiere, erinnert sich jedoch an einen solchen. Offenbar wurde die  neue  Promotionsurkunde im Oktober oder November 1962 durch den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Montevideo überreicht.

Dr. Max Wolf starb am 8.9.1963 in Montevideo.

 


 

Quellen / Weiterführendes:

KZ-Gedenkstätte Dachau

ITS Arolsen 101/048

Nationales Archiv NARA, Washington D.C. / USA

Maria Zelzer: "Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden", Stuttgart 1964

LHAKo-Rommersdorf Geburtsurkunde Bestand 630,004, Nr. 17

Georg Möllers: "Jüdische Tierärzte in der Zeit von 1918 - 1945, Hannover 2002

Der folgende Artikel über die damals noch seltene Feier der Goldenen Hochzeit eines bedeutenden Mitglieds der jüdischen Gemeinde legt ein beredtes Zeugnis von der Zugehörigkeit dieser Gemeinde zur gesamten Stadt Neuwied ab. Er spiegelt die Begeisterung und Achtung einer Zeit jüdischer Integration und ist für uns Heutige bedrückendes Zeugnis vom schrecklichen Gesinnungswandel  innerhalb von 70 Jahren.

 

Meldung zur Goldenen Hochzeit des Ehepaares Jacob Löb1 in der Neuwieder Zeitung Nr. 78 v. 1.7.1863

Neuwied, den 29 Juni 1863

Am 24. d. Mts.feierten die isrealischen Eheleute Jacob Löb2, von hier, beide noch ungewöhnlich rüstig, ihre goldene Hochzeit. Diese seltene Feier ging in würdigster Weise von Statten.

In der dem Festtage vorhergehenden Nacht wurde von liebender Hand das Wohnhaus des Jubel=Paares mit Mayen und Kränzen geschmückt. - Die  r e l i g i ö s e   F e i e r  in den einfach gezierten Räumen der Synagoge, Vormittags halb 11 Uhr, versammelte eine dichtgedrängte, den verschiedensten Confessionen angehörige Menge Theilnehmender und wurde von dem Religions=Lehrer Herrn Steinweg durch ein ergreifendes Gebet geleitet. Hierauf recitirte derselbe den Psalm 91 im Ur-Texte und in deutscher Übertragung, an dessen Ende sich die Motette: „Lobe den Herrn meine Seele“ in vierstimmigem Chore anschloß. Es folgte nun die eigentliche Feier=Rede. Wenige Augen sah man während derselben thränenleer. Sie betonte nicht  nur die Gnade Gottes, die sich dem Jubel=Paare sichtlich erwies, sondern auch die Liebe der Menschen, und steigerte sich zum höchsten Pathos bei der Entrollung eines Bildes wahrer, allgemeiner Menschenliebe. Nachdem der hierauf folgende Männer=Chor verklungen, überreichte der Königl. Bürgermeister H e r r  v. d.  B e e k im Namen  I h r e r  M a j e s t ä t  d e r  K ö n i g i n  E l i s a b e t h  dem Jubel-Paare mit einer längeren dem Akte angemessenenen ernsten Ansprache das „den christlichen und israelitischen Mitbürgern gemeinsame heilige Buch“, die Psalmen David's, mit einer eigenhändig unterschiebenen Würdigung Ihrer Majestät versehen. D a s  D u r c h l a u c h i g s t e  F ü r s t e n - P a a r   z u  W i e d   hatte dem Jubel=Paare die heilige Schrift alten Testaments mit eigenhändig eingezeichneten Widmungen zugedacht und solche, anreihend an die Königliche Gabe, durch den Fürstlichen Kammer-Director, Freiherr  v o n  B i b r a  übergeben lassen. Herzliche und erhebende Worte begleiteten auch  diese Übergabe. - Es trat nun der Israel. Gemeindevorstand vor das  Jubel=Paar hin, überreichte demselben mit einer kurzen ergreifenden Ansprache einen prachtvollen mit Wein gefüllten Kelch, „einer Liebesgabe der Gemeinde, an welcher der Reiche, wie der Arme gleichen  Antheil habe“, und forderte den Jubilar auf, „diesem Symbole eines heiteren und glücklichen Lebens=Abends durch den rituellen Segensspruch über die Frucht des Weinstocks die Weihe der Religion zu ertheilen.“ Nachdem dieser Aufforderung entsprochen erklang von der Sänger=Tribüne herab, als Schluß der kirchlichen Feier der herrliche Psalm: „Herr unser Gott! wie groß bist Du!“

Nach und aus dem Gottesdienste wurde das L ö b' s c h e  Ehepaar vom israelistischen Gemeinde=Vorstande und von weißgekleideten Mädchen, welche Kränze trugen und den Weg mit Blumen bestreuten, geleitet. Die vierstimmigen Gesänge waren eine meisterhafte Ehrenleistung der Mitglieder der hiesigen Liedertafel.

Auch im weiteren Verlauf des Tages wurden von den Jubilaren von Privaten und Vereinen, so von dem älteren und jüngeren israelistischen Frauen-Verein, vom israelitsichen Jünglings-Vereine u.a. entsprechende Angebinde überbracht. Ein Diner, welchem der Hr. Bürgermeister  v. d.  B e e c k  und der Dirigent der Liedertafel, Hr.  L ö c h e r,  beiwohnten, und während dessen der Königlichen und Fürstlichen Huld-Geschenke durch sinnige Trinksprüche auf das Wohl der Hohen Geber gedacht wurd, so wie eine abendliche Reunion in den brilliant erleuchteten Räumen des „alten Riesen“, Letztere den Typus eines wahren, ungetrübten Volksfestes an sich tragend, schlossen diesen seltenen Jubeltag.

Der Eindruck aber, wie an diesem Feste sich Christ wie Israelit betheiligte, wie sie  g e m e i n s a m... in Andacht beteten, in Rührung weinten, in Liebe Glückwünsche aussprachen und in Frohsinn sich freuten; er ist und bleibt die schönste Frucht des Tages.

Verantwortlicher Redakteur:  W.  S t r ü d e r  in Neuwied.

 


1Abschrift unter Beibehaltung von Rechtschreibung und Druckbild. - Da in der Zeitung normalerweise der Ort hinzugefügt wurde, wenn es sich um eines der Dörfer der Umgebung handelte, die zur Neuwieder Gemeinde gehörten, kann man davon ausgehen, dass es sich um Neuwied Innenstadt handelt.

2Bei Jacob Löb handelt es sich sehr wahrscheinlich um den Vorsteher der jüdischen Gemeinde von 1853 - 56. Er starb am 14.4.1869 und ist auf dem jüdischen Friedhof in Niederbieber (Grab B60a) beerdigt.

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Dr. Moses Abraham Wolff (1713-1802)

Arzt, Wohltäter und Mäzen

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Moses Abraham Wolff
Gemälde: Nationalmusum Warschau, Inv. Nr, M. Ob. 1016 MNW.

Dr. Moses Abraham Wolff, auch „Mosche ben Awraham Neuwied“ genannt, lebte von 1713 bis 1802. Er wurde also in die Epoche der jüdischen Emanzipitation und Gleichstellung der Juden in Deutschland hineingeboren. Seine Eltern waren Abraham und Gutrat Halevi, deren Grabsteine zu den frühesten auf dem Jüdischen Friedhof in Niederbieber gehören. Der Vater war Bankier und ab 1748 sogenannter Hofjude bzw. Hoffaktor des Fürsten Friedrich zu Wied. Es war seine Aufgabe, den Fürstenhof zu versorgen und zu finanzieren. Die Familie Wolff siedelte bereits vor 1691 in Neuwied1.

Hochgeschätzt am kurfürstlichen und päpstlichen Hof

Nach dem Besuch des Jesuitengymnasiums in Koblenz und des Gymnasiums in Moers studierte Moses Abraham Wolff Medizin zunächst in Duisburg und danach in Halle2, wo er auch promovierte. Er ließ sich als Arzt in Bonn nieder, der Residenz des Kölner Kurfürsten und Erzbischofs Clemens August, an dessen Hof er –unterstützt von seiner Familie und ausgestattet mit zahlreichen Privilegien - ebenfalls das Amt des Hofjuden bekleidete. Als Clemens August 1738 ernstlich erkrankte und seine Leibärzte ratlos waren, rief er Moses Abraham Wolff, der ihn erfolgreich behandelte. Daraufhin ernannte Clemens August ihn zu seinem Leibarzt und verlieh ihm den Titel Kurfürstlicher Geheimrat, eine Position, die er auch unter den nachfolgenden Kurfürsten innehatte. In Wolffs Amtszeit wurden mehrere Edikte erlassen, die die gesundheitliche Situation im Kurfürstentum erheblich verbesserten, insbesondere auch auf dem Gebiet der Lebensmittelhygiene. Durch einen Schutzbrief wurde den Juden die Beibehaltung ihrer koscheren Schlachtung erlaubt. Der gute Ruf des Arztes Moses Abraham Wolff drang bis nach Rom. Es ist nämlich belegt, dass Papst Benedikt XIV ihn sehr schätzte. Aus dieser historischen Tatsache leitet sich möglicherweise die nicht eindeutig bewiesene Überlieferung her, er habe 1768 den Papst Clemens XIII, der als Judenhasser bekannt war, von einem Augenleiden geheilt.

Moses Abraham Wolff war Vorsteher der jüdischen Gemeinde Bonn, ein großzügiger Wohltäter und Mäzen. Während des Hochwassers von 1784, als die Judengasse unter Wasser stand, brachte er zahlreiche Familien in seinem Haus unter; Arme behandelte er kostenlos.

Zeit der toleranten Frühaufklärung

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Gedenkplatte für Anton Wilhelm Amo an der Universität Wittenberg
(Foto: privat)

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Neuwied schon bald nach seiner Gründung auf Grund der mehrfach erweiterten Freiheitsrechte eine hohe Bedeutung erlangte. Es gehörte zu den sogenannten Exilantenstädten, die zahlreiche Außenseitergruppierungen anzogen, die in Städten mit dem altmodischen Gildesystem nicht gerne gesehen waren. Diese Gruppierungen stellten sich den zentralistischen Bestrebungen absolutistischer Herrscher entgegen und wurden dabei zunehmend vom gehobenen Bürgertum unterstützt.

Mit dem Begriff „Emanzipation“ ist die Stellung des Judentums in dieser Zeit nur unzulänglich beschrieben. Präziser ausgedrückt, war dieses Jahrhundert durch eine große Hochachtung für herausstehende Größen und sozial engagierte Persönlichkeiten wie Moses Abraham Wolff geprägt, die ihrerseits wieder integrativ in die Gesellschaft hineinwirkten – und zwar unabhängig von Ihrer Herkunft und ihrer Religionszugehörigkeit.

Ein besonders überzeugender Beleg für diese Hochachtung vor der Integrität und Weisheit des Einzelnen in der Zeit der toleranten Frühaufklärung ist die gegenseitige Wertschätzung zwischen Moses Abraham Wolff und Anton Wilhelm Amo3 hervorzuheben. Um 1703 im damaligen Guinea, dem heutigen Ghana, geboren, wurde Amo als Kind versklavt und in die Niederlande verschleppt. Er wurde als „Kammermohr“ an das Haus Braunschweig-Wolfenbüttel „verschenkt“ und dort 1708 auf den Namen Anton Wilhelm evangelisch getauft. Am Hof Braunschweig-Wolfenbüttel erhielt er jedenfalls eine hervorragende, auch universitäre Ausbildung und erlernte Französisch, Griechisch, Hebräisch, Niederländisch und Latein. In Halle studierte er Philosophie und Jura. Er wirkte an den Universitäten Halle, Wittenberg und Jena, wo es eine vergleichbare Plakette gibt (Siehe Wikipedia).

 

Quellen / Weiterführendes:


Gemälde: Nationalmusum Warschau, Inv. Nr, M. Ob. 1016 MNW.

Monika Firla: Drei Texte aus A.W. Amos Feder in deutscher Sprache 1729-37; Stuttgart 2020 (A.M. Wolff, S. 37ff.)

Steven and Henry Schwarzschild: Two Lives in the Jewish Frühaufklärung - Raphael Levi Hannover and Moses Abraham Wolff; in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 29 (1984), pp. 229-276 (A.M. Wolff, S. 259 ff.)

Historiker Jeff Bowersox über Anton Wilhelm Amo auf NTV Online: „Anton-Wilhelm-Amo war kein Exot oder Außenseiter“

 


1 In dieser Zeit der frühaufklärerischen Toleranz wirkte auch der bedeutende Rabbiner Eliezer ben Salomon Zalman Lipschütz in Neuwied. Die Gräber einiger seiner Familienmitglieder gehören zu den frühesten auf dem jüdischen Friedhof in Niederbieber.

2 In Halle studierte Wolff u.a. bei dem Philosophen A.M. Amo, der ihm ein Gratulationsgedicht zu seiner Promotion widmete. 

3 Durch Erlasse von 1726 und 1784 wurden in Halle jüdische medizinische Studenten ausdrücklich den anderen gleichgestellt, so auch der Neuwieder jüdische Student Emanuel Israel.

Julius Ransenberg

Lehrer, Prediger, Kantor der Jüdischen Gemeinde

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Julius Ransenberg (1864-1939)

Julius Ransenberg wurde am 29. Januar 1864 im Sauerland in einem kleinen Ort namens Calle, unweit von Meschede geboren. Er wuchs er in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater Samuel Ransenberg verdiente den Lebensunterhalt für die Familie als fahrender Kleinhändler. 1866 und 1870/71 zog Samuel Ransenberg voller patriotischer Begeisterung  in den Krieg.

Vieles, was wir über die Persönlichkeit von Julius Ransenberg wissen, verdanken wir den Erinnnerungen seines Sohnes Günter, der sich als einziger seiner sechs Geschwister ins Exil nach Mexiko retten konnte. Dennoch fühlte er sich Zeit seines Lebens mit der alten Heimat verbunden und hielt den Kontakt zu ihr aufrecht. Günter Ransenberg starb am 30. Oktober 1995 in Puebla/Mexiko.

Umzug nach Neuwied

In der katholischen Volksschule des Dorfes Calle wurde man schon früh auf die Begabung des jungen Julius aufmerksam. Sein Lehrer empfahl den Eltern, ihren Sohn zum Lehrer ausbilden zu lassen. Dank eines Stipendiums wurde er Seminarist auf dem jüdischen Lehrerseminar zu Münster in Westfalen. Als bestallter preußischer Lehrer bekleidete er zunächst Stellen in verschiedenen kleinen Orten, eine davon in Rahden, wo er seine Frau Mathilde Ginsberg heiratete. Als er sich auf die Lehrerstelle in Neuwied bewarb, war man dort nach einem Probegottesdienst von dem Anwärter sofort überzeugt, so dass er Anfang 1889 mit Frau und Tochter Paula als neugekürter Volksschullehrer nach Neuwied zog, die  Stadt, die fortan sein Lebensmittelpunkt war, in der er sein ganzes Wirken als Prediger, Kantor und geistlicher Leiter dem Wohl seiner Gemeinde widmete. Hier kamen die Geschwister seiner Tochter Paula (geb. 23.2.1888) zur Welt: Helene (14.5.1889), Martha (27.9.1891), Irma (25.1.1893), Gertrude (14.1.1897), Ewald (8.11.1898) und Günter (20.8.1907).

Die neue Jüdische Schule

In den ersten Jahren seiner Lehrertätigkeit in Neuwied musste Julius Ransenberg mit den beengten Verhältnissen des Schullokals in einem Nebengebäude der Synagoge vorlieb nehmen, ein völlig unzureichender Raum für die fast 60 Schüler. Bei Behörden und Gemeindevorstand setzte sich Julius Ransenberg nachdrücklich für den Bau eines neuen Schulgebäudes ein und hatte schließlich Erfolg: 1893 wurde der repräsentative Backsteinbau fertiggestellt. Die Lehrerwohnung befand sich im ersten Stock, der Klassenraum im Hochparterre darunter bot Platz für bis zu 8 Schulklassen, die gleichzeitig unterrichtet wurden.

In die Freude dieser Tage mischte sich jedoch schon damals weit vorausschauend die Sorge, mit der Julius Ransenberg das antisemitische Treiben jener Zeit beobachtete. Bereits 1893 hatten diese Kräfte die ersten Sitze im Reichstag erobert. Trotz böser Vorahnungen vertraute Julius Ransenberg auf die staatliche Obrigkeit, hoffend auf Schutz und Schirm für die jüdische Bevölkerung.

Streng aber hochgeachtet

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Günter Ransenberg

In seinen Erinnerungen beschreibt Günter Ransenberg seinen Vater als strengen, wohl preußisch erzogenen Lehrer, ein Patriot voller Eifer, der mit Überzeugung am Kaiserhause hing. In den ersten Wochen und  Monaten des Ersten Weltkrieges verspürte Günter Ransenberg  eine begeisterte patriotische Siegesstimmung innerhalb der Familie, die seinen Bruder Ewald dazu bewog, sich  freiwillig zum Heer zu melden, wo er als Funker schwer verletzt mit Eisernem Kreuz und Verwundetenabzeichen ausgezeichnet wurde.

Julius Ransenberg genoss in der Stadtbevölkerung  höchstes  Ansehen. Jahrzehntelang schrieb er in der Neuwieder Zeitung über Feste und Feiern der Jüdischen Gemeinde. Zudem war er in Neuwieder Vereinen aktiv, so im damals kulturell bedeutenden Kurverein, den Julius Ransenberg zu einer Begegnungsstätte für die jüdischen Mitglieder mit Gastronomie, Tennisplätzen und Kinderspielplätzen entwickelte. Seine Mitarbeit in den jüdischen Dachorganisationen wurde sehr geschätzt. Im Kreis seiner Lehrerkollegen, den jüdischen und den  christlichen, war er hochgeachtet. Sogar noch 1934 schenkten ihm christliche Kollegen, wenn auch zaghaft, zum 70. Geburtstag einen Silberbecher.

Treue zur Heimat

Zeitlebens war Julius Ransenberg stolz darauf, staatlicher pensionsberechtiger Beamter zu sein. Jedes Angebot zum Stellungswechsel, jede finanzielle Verbesserung lehnte er ab, um bis zuletzt im Dienst der Neuwieder Synagogengemeinde zu verbleiben, bis er wegen des Verlustes seines Augenlichtes das Amt des Seelsorgers aufgeben musste. Umso schmerzlicher musste es für ihn gewesen sein mitzuerleben, wie das Nazi-Regime ab 1933 seinen Machtapparat gegen die jüdische Bevölkerung ausspielte. Die Treue zu seiner Heimat blieb jedoch ungebrochen, die Hoffnung auf bessere Zeiten wollte er nicht aufgeben. In einem  Brief von 1934 an seinen zu dieser Zeit in Köln von den Nazis inhaftierten Sohn Günter tröstet er ihn mit der Aussicht, die schwere Zeit mit Gottes Hilfe zu überstehen, schließlich habe er sich nichts Strafwürdiges oder Entehrendes vorzuwerfen. Obwohl die jüdischen Bürger einiges zu erleiden hätten, kämpfe man nicht gegen das deutsche Vaterland und seine Regierung. So wie Julius Ransenberg dachten und schrieben viele Tausende der deutschen Juden, bis die „Endlösung“ sie eines anderen belehrte.

10 Jahre lebte Julius Ransenberg nach der Beendigung seiner seelsorgerischen Tätigkeit mit seiner Familie in der Schloßstraße in einem Haus der Handwerkskammer, bis man ihn 1938 von  dort verjagte und er Zuflucht in Aachen suchen musste.

Sein Sohn Günter konstatiert: „Als man seine geliebte Synagoge in Schutt und Asche legte, brach es ihm das Herz, er starb wenig später im März 1939.“

Das Grab von Julius und Mathilde Ransenberg befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Niederbieber. Die Geschwister von Günter Ransenberg, Helene, Gertrude, Ewald, Martha, Irma und Paula, wurden in den KZ-Lagern Stutthof, Lublin, Izbica und Auschwitz ermordet.

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Das Grab der Familie Ransenberg auf dem Jüdischen Friedhof Niederbieber

Siehe auch: Günter Ransenberg: „Erinnerungen an die Neuwieder Synagoge“


Quelle u. Fotos

Franz Regnery: „ Jüdische Gemeinde Neuwied“, 1988 S. 370ff

Carl Einstein

Romancier, Kunstkritiker, Essayist

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Carl Einstein
Quelle: Portal Rheinische Geschichte - LVR

Carl Einstein wurde als Sohn von Sophie und Daniel Einstein am 26. April 1885 in der Friedrichstraße in Neuwied geboren. Sein Vater war Prediger der hiesigen jüdischen Gemeinde und ab 1888 Direktor des israelischen Lehrerseminars. Im Gegensatz zu anderen berühmten und bedeutenden Bürgern unserer Stadt scheint Carl Einstein in Neuwied fast völlig in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl er als Romancier, Kunstkritiker und Essayist das Europa der 20er und 30er mitprägte.

Bedeutende literarische Werke

Die Familie seiner Eltern siedelte nach Karlsruhe über. Nach Abitur, das von manchen Biographen in Frage gestellt wird, und abgebrochener Banklehre studierte er im Wintersemester 1904/05 (als Gasthörer?) in Berlin Kunstgeschichte, Geschichte und Altphilologie. 1908 brach er das Studium ab und schrieb theoretische und literarische Texte, u.a. den aufseheneregenden Roman „Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders“. Sein Werk "Negerplastik“ von 1905 war das erste grundlegende Werk zur Kunst Afrikas. Zudem widmete er sich dem Kubismus und war u.a. mit Georges Braque und Picasso gut bekannt. Er schätzte auch surrealistische Künstler wie etwa Paul Klee, Hans Arp und Joan Miró.

Politische Konfrontation und Rückzug ins Private

1914 meldete Einstein sich als Kriegsfreiwilliger. 1916 verwundet, wurde er zur Zivilkommandostelle des Generalgouvernements Brüssel (Abteilung Kolonien) versetzt, verkehrte dort mit Gottfried Benn, Otto Flake und Hermann Kasack. 1918 engagierte er sich politisch im Brüsseler Soldatenrat und bezeichnete sich als Kommunist. Nachdem er nach Berlin zurückgekehrt war, wurde er am 15. Januar 1919, am Tag der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, verhaftet, aber kurz danach wieder freigelassen. Mit George Grosz gab er ein Satiremagazin heraus, das sich gegen die rechte Restauration im Nachkriegsdeutschland richtete. Mit dem unangepassten Drama „Die schlimme Botschaft“ kritisierte er 1921 die etablierten Kirchen, die bürgerliche Gesellschaft, aber auch das Judentum und löste einen Skandal aus, in dessen Gefolge er wegen Blasphemie zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Er zog sich aus der politischen Auseinandersetzung zurück und verfasste mit „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“ ein weiteres epochales Werk. 1928 zog er endgültig nach Paris.

Verzweiflung und Depression

Ab dem Sommer 1936 nahm er am spanischen Bürgerkrieg gegen Franco teil und schloss sich der Grupo International als Mitglied der Colonna Durruti an der Aragon-Front an. 1939 floh Einstein nach dem Sieg Francos nach Paris nur mit dem, was er auf dem Leib trug. Ein Foto der Zeitschrift Match zeigt ihn in der umgefärbten Uniform der anarchosyndikalistischen Milizen in Perpignan. Als deutscher Staatsbürger wurde er im Frühjahr 1940 bei Bordeaux interniert; das Lager wurde beim Herannahen der deutschen Truppen im Juni aufgelöst. Zutiefst verzweifelt irrte er durch Südfrankreich. Am 5. Juli 1940 beging er Selbstmord; seine Leiche wurde erst zwei Tage später gefunden.

Carl Einstein war ein scharfzüngiger Intellektueller, der sich für die Freiheit der Kunst und gegen Diktaturen wie die der Nationalsozialisten und das Regime Francos mit aller Kraft bis zur physischen und psychischen Erschöpfung einsetzte. 1984 wurde von Germanisten und Romanisten an der Universität Bayreuth die Carl-Einstein-Gesellschaft / Societe Carl Einstein gegründet: https://www.carleinstein.org/gesellschaft

Gedenktafel für Carl Einstein

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Anbringung der Gedenktafel für Carl Einstein an der Stelle, an der sein Geburtshaus stand.
Foto: Jörg Niebergall

Am Montag, dem 26.4.2021, wurde von Rolf Wüst vom Deutsch-Israelischen Freundeskreis und dem Schriftsteller Hermann Spix aus Neuwied im Beisein von Thorsten Fuchs, dem Leiter der Food Akademie, eine Gedenktafel an den in Neuwied fast vergessenen, aber bedeutenden jüdischen Romancier und Essayisten Carl Einstein angebracht.

Die Tafel wurde von Dr. Eva Weissweiler, Schriftstellerin aus Köln und ihrem Mann, dem Bildhauer Prof. Klaus Kammerichs gesponsert. Ein Brief von Dr. Weissmüller mit einem kurzen Einstein-Text wurde dabei verlesen. Die Initiatoren möchen mit dieser Tafel dazu beitragen, dass die historische Bedeutung Neuwieds über Sonntagsreden hinaus im Stadtbild sichtbar wird.

 


Quellen / Weiterführendes:

Klaus H. Kiefer / Liane Meffre, „Carl Einstein. Briefwechsel 1904-1940“ (J.B. Metzler) Stuttgart 2020

Jürgen Seim: „Carl Einstein - Vorläufige theologische Fußnoten zu einer intellektuellen Existenz“
(aus Evang. Theol. 45.Jg., Heft 2, S.158-172)

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