Der jüdische Friedhof in Niederbieber

Jüdischer Friedhof in Niederbieber

 

mt_ignore:Gedenkstätte Friedhof Niederbieber

1933 - 1945

Unseren Lieben zur ewigen Erinnerung - Alles gabt ihr für uns hin - Wir können und werden es nie vergessen.

Aus der jüdischen Gemeinde zu Neuwied fielen im Weltkriege 1914 - 1918 als Soldaten für ihr deutsches Vaterland

Alfred Meyer, Siegfried Sander, Max Minkel, Alfons Nathan, Konstantin Levy, Ernst Langstadt, Adolf Sander, Salli Aron, Leopold Hermann, Jonas Salomon, Paul Rosenberg, Leo Langstadt

 


Geschichte

Die jüdische Gemeinde Neuwied unterhielt seit dem 17. Jahrhundert einen Friedhof im heutigen Stadtteil Niederbieber. Wie für jüdische Begräbnisstätten zu jener Zeit üblich, lag das Gelände außerhalb der damaligen Bebauungsgrenze. Den Juden war der Grunderwerb für ihre Friedhöfe nur von außerhalb gelegenem Land gestattet, das für die Ortsgemeinde keinen landwirtschaftlichen oder baulichen Nutzen aufwies. Für die jüdische Gemeinschaft stellt der Friedhof - Bet Hachajim (Haus des Lebens) - einen heiligen Platz für die Ewigkeit dar, auf dem nach Jüdischen Gesetzen jegliche Störung der Totenruhe für alle Zeiten verboten ist.

Mit 11.037,75 qm ist der jüdische Friedhof in Niederbieber einer der größten und ältesten in Rheinland-Pfalz. Auf dem teils abschüssigen Gelände befinden sich 661 heute noch zu erkennende Grabsteine. Auf 294 Gräbern sind keine Grabsteine mehr erhalten. Die älteste als sicher zu datierende Grabinschrift stammt aus dem Jahr 1706.

schlichte Grabsteine aus Sandstein aus dem 1. Jahrh.
traditionelle jüdische Grabsteine aus dem 18. Jh.
Grabsteine im ausgehenden 19.Jahrhundert wichen vom Prinzip der Schlichtheit ab
Anpassung an den Zeitgeschmack des 19. Jh.

Die ursprüngliche Schlichtheit der Grabsteine ent­sprach dem religiösen Ideal der Gleichheit aller im Tode: ein hoch­kantiger Stein mit recht­eckiger oder runder Ober­kante, oftmals abge­schlossen mit einem Halb­bogen oder Giebel (Abbildung links). Die Grabsteine aus dem 18. Jahr­hundert sind aus Sand­stein gefertigt und waren möglicher­weise z.T. bemalt. Später im 19. Jahr­hundert wurden härtere Materialien, wie Granit, Marmor oder Zementguss ver­wendet und die Grabsteine passten sich zu­nehmend dem jeweiligen Zeitgeschmack an (Abbildung rechts). Das Prinzip der Schlichtheit und Gleichheit trat in den Hintergrund. Durch eine aufwändige Ausge­staltung des Grabmals legten wohl­habende Familien Zeugnis ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung ab.

Im Jahr 1908 wurde der Friedhof erweitert. Im selben Jahr beauftragte die Synagogen­gemeinde Neuwied den Bau einer Friedhofskapelle, deren hinterer Teil als Leichenhalle und deren vorderer Teil "zur Abhaltung von Begräbnis­feierlich­keiten" dienten. Nach den schweren Verwüstungen, die der Kapelle in der Reichspogromnacht zugefügt wurden, stand dieses Gebäude  zum Teil noch bis zum Abriss im Jahr 1947. Am Giebel stand der Satz: „das Andenken des Gerechten ist zum Segen“. Der Spruch an der Vorderwand lautete: „wahrlich gibt es eine Zukunft, und Deine Hoffnung ist nicht abgeschnitten“. Die Nazis kratzten das „NICHT“ aus, so dass der Text zu einem höhnischen „...und Deine Hoffnung ist ... abgeschnitten“ verunstaltet wurde.

 

Die Friedhofshalle um 1947
Peter Kesselheim: Zeichnung der Friedhofskapelle (1913)

 

Die Zeichnung der Friedhofskapelle (links) wurde 1913 von dem Neuwieder Malermeister Peter Kesselheim (geb. 1.8.1894, gest. 17.6.1982) als Bleistiftzeichnung nach dem Original der Kapelle vor Ort angefertigt. Dieses Dokument wurde von dem Sohn, Malermeister Hermann Kesselheim, dem Deutsch-Israelischen Freundeskreis zu treuen Händen übergeben.

Das Foto rechts zeigt die Halle im Jahr 1947 und stammt aus dem Privatbesitz des nach Mexiko ausgewanderten Günter Ransenberg, dessen Vater Rabbiner und Lehrer bei der jüdischen Gemeinde Neuwied von 1888 bis 1928 war und mit seiner Frau auf dem Friedhof seine Ruhestätte fand.

jüdischer Friedhof Niederbieber - Ansicht
Foto: DIF Neuwied

Während der Pogromnacht am 9/10. November 1938 wurde der Friedhof schwer geschändet. Schläger­trupps der Nazis richteten an der Friedhofs­halle und auf der gesamten Anlage großflächig Verwüstungen an. 1947 wurde die Friedhofskapelle abgerissen. Auf Betreiben des Deutsch-Israelischen Freundes­kreises wurden im Laufe des Jahres 1984 umfangreiche Restaurierungs­arbeiten durch­geführt.

Unterstützt durch die Stadt Neuwied und AB-Maßnahmen des Arbeitsamtes wurden die zahl­reichen Spuren der Verwüstung und Verwitterung beseitigt. Umgestürzte Grabsteine wurden aufgerichtet, renoviert, und teilweise neu verankert. Die regelmäßige Pflege des Friedhofs wurde durch das Gartenamt der Stadt übernommen. Im Jahr 1985 wurde der Jüdische Friedhof als unschätzbares Kulturgut unter Denkmal­schutz gestellt. Die Verwaltung liegt in den Händen der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz

 

Tradition und Ritus

Vermutlich stand früher ein Gebäude auf dem Gelände, in dem die rituelle Waschung des Leichnams und das Anlegen des Leichengewandes vorgenommen wurde. Männer wurden zudem in ihren Gebetsmantel gehüllt. Schließlich wurde der Verstorbene mit dem Leichentuch bedeckt. Im Unterschied zum Orient, wo die Toten nur in dem Leichentuch beerdigt werden, wird in der Diaspora der Leichnam in einen einfachen Holzsarg gebettet. Meist wird dem Toten ein Säckchen mit etwas Erde aus dem heiligen Land unter den Kopf gelegt. Sowohl die Reinigung als auch die gesamte Bestattungszeremonie wird durch Gebete, Vorlesen bestimmter Psalmen und schließlich dem Vorlesen des Totengebets (Kaddisch) - eines alten aramäischen Gebets zur Preisung des Herrn - begleitet. Dieses Gebet soll möglichst vom ältesten Sohn gesprochen werden.

Beim Gedenken an den Holocaust werden die Namen der wichtigsten Konzentrationslager verlesen. Die Ange­hörigen machen sich symbolisch zum Zeichen der Trauer einen Riss in ihr Kleid. Beim Verlassen des Friedhofs waschen sie sich symbolisch die Hände. Danach beginnt die Schiwa, die Trauerwoche, in der die Trauernden zu Hause auf niedrigen Schemeln sitzen und sich aller Tätigkeiten wie Baden, Haare schneiden, Rasieren, aber auch des Lesens der Thora als freudige Tätigkeit enthalten sollen.

Die folgende Trauerzeit kann je nach Verwandtschaftsgrad zwischen einem und elf Monaten dauern. Gewöhnlich wird nach einem Jahr ein Grabstein aufgestellt. Das Grab ist der Ort, an dem der Tote bis zu seiner Auferstehung bleibt und darf daher auch später keiner neuerlichen Verwendung zugeführt werden.

 

Inschriften und Symbole

Seit dem frühen Mittelalter wurde auf den Grabsteinen hebräische Quadratschrift verwendet. Mit der Säkularisierung im 19. Jahrhundert finden sich auch Inschriften in deutscher Sprache und lateinischer Schrift, manchmal beide Sprachen bzw. Schriften gleichzeitig. In den meisten Fällen folgen die Inschriften einem Grund­muster, das auf vielfältige Art variiert und erweitert sein kann:

Beginnend mit der Einleitungsformel ( „hier ist begraben...“ oder: „hier ist geborgen...“) wird dem Namen eine eine lobende Anrede vorangestellt, in der bestimmte Tugenden des /der Verstorbenen gewürdigt werden. Bei Frauen etwa: Ansehen, Frömmigkeit, Sittsamkeit, Tüchtigkeit: „...eine teure und angesehene Frau, die tüchtige Gattin“. Bei Männern u.a. Thoragelehrsamkeit, Arbeit für die Gemeinde, Wohtätigkeit: „...ein gottesfürchtiger Mann“, oder: „...ein gradsinniger zuverlässiger Mann“, ggf mit Nennung von Titel oder Amt des Verstorbenen.

Die Trauer über den frühen Tod eines Kindes oder Jugendlichen wird durch Formulierungen ausgedrückt wie: „Von den besten Jugendlichen“ oder „in seiner Knospe“.

Die Namensangabe besteht aus Vorname, Name des Vaters, bei Ehefrauen gewöhnlich auch aus dem Namen des Ehemannes. Dabei wird hier in Neuwied auffallend häufig bereits der Familienname genannt, als dies auf anderen jüdischen Friedhöfen noch nicht üblich war. Etwa die Hälfte aller Inschriften enthalten die Angabe des Herkunfts­ortes anstelle oder ergänzend zum Familiennamen des Vaters bzw. Gatten. („ ...Heitche, Gattin des Seligmann Lewenbaum aus Neuwied...“ oder „...Breinche, Tochter von Schlomo, Gattin des Löb Kahn aus Neuwied...“)

Die Datumsangabe setzt sich zusammen aus dem Namen des Wochentages, dem Datum (Tag, Monat, Jahr) des Sterbetages und des Beerdigungstages nach dem jüdischen Kalender. Die Angabe des Geburtsdatums war nicht üblich oder auch nicht bekannt.

Meist endet die Grabinschrift mit den hebräischen Initialen einer Abschlussformel, beispielsweise: T.N.Z.B.H = „seine (ihre) Seele sei eingebunden im Bund des Lebens“ (aus dem 1. Buch Samuel 25,29), die den jüdischen Glauben an die Auferstehung ausdrückt.

 

Insbesondere auf den älteren Steinen sind häufig jüdische Symbole als auffallendes Gestaltungsmerkmal angebracht.

Von links:

Die segnenden Hände der Priester: Dieses auf dem jüdischen Friedhof in Niederbieber sehr häufig anzutreffende Symbol geht zurück auf das aaronitische Priestergeschlecht der Kohanim, die sich auf die männliche Nach­kommen­schaft Aarons berufen. Im Judentum wird man als Abkömmling des Stammes Aarons zum Priester kraft Geburt. Die Haltung der Hände mit ihrer charakteristischen Fingerstellung bezieht sich auf eine wichtige Amtshandlung des Priesters (Kohen, Einzahl von Kohanim): die Erteilung des "aaronitischen" Segens über die Gemeinde. Die Familiennamen Kahn, Cahn oder Cohen weisen auf die Abstammung von den Kohanim hin.

Die Kanne der Leviten: Die Abkömmlinge aus dem Stamm Levi waren im Tempeldienst u.a. für die kultische Reinheit zuständig. Der Levite goss das Wasser auf die Hände des Priesters, bevor dieser die Gemeinde mit ausgebreiteten Händen segnete. Auch hier ist der Ursprung der Familiennamen Levy, Levi oder Levita erkennbar.

Der Davidstern: Das Hexagramm wurde in früheren Zeiten in verschiedenen Kulturen als magisches Symbol bzw. Ornament verwendet, bevor es als "Davidstern" ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert zum allgemeinen Symbol für das Judentum wurde.

Der gebrochene Ast steht für einen unerwarteten, frühen Tod. Er ist z.B. auf dem Grabstein von Luise Jonas, eines 4jährigen Kindes aus Heddesdorf zu finden (Grab 140, Block B).

Der Kranz: ein stilisierter, kreisrunder aus Blüten zusammengesetzter Kranz symbolisiert den Kreislauf des ewigen Lebens und steht für die Hoffnung auf Auferstehung.

Die Rose: Symbol des flüchtigen Lebens, oft auch am Grab eines früh verstorbenen Mädchens.

 

Dokumentation

Naftali Bar-Giora Bambeger: Memorbuch - Der jüdische Friedhor in Neuwied Niederbieber
Memor-Buch von Naftali Bar-Giora Bamberger

Bereits in den 1980er Jahren beauftragte der Deutsch-Israelische Freundeskreis den Historiker Naftali Bar-Giora Bamberger vom Bamberger Familienarchiv Stuttgart / Jerusalem mit der Dokumentation sämtlicher Grab­stätten und der Übersetzung der zum Teil hebräischen Inschriften auf den Grab­steinen.

Das daraus entstandene "Memor-Buch" erschien 1986 in einer ersten Auflage, 1987 in einer überarbeiteten Zweitauflage. Dieses Buch enthielt die Inschriften aus dem Block A, dem ältesten Teil des Friedhofs. Die weiteren Forschungs­arbeiten Bambergers dokumentiert die abschließende umfassende Neuauflage des Memorbuches aus dem Jahr 2000.

Der Autor und Übersetzer Naftali Bar-Giora Bamberger verstarb im Januar 2000 kurz vor Vollendung der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Stuttgart haben das Werk in seinem Geiste vollendet.

 

Lageplan

Lageplan des Friedhofs
Lageplan von 1985: teilweise weichen die Zahlen von denen im Text aus dem Jahr 2000 genannten Zahlen ab

Mit einer Gesamtfläche von 11.037,75 qm ist der jüdische Friedhof in Nieder­bieber einer der größten in Rheinland-Pfalz.

Der auf dem Plan mit "Block A" gekennzeichnete Teil ist der älteste des Friedhofs. Im oberen Bereich steht heute ein Denkmal, das an die Opfer des Holocaust und an die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten erinnert.  Die ältesten mit Sicherheit entzifferten Grabinschriften datieren aus dem Jahr 1706, das zeitlich späteste Grab im Block A aus dem Jahr 1857. Insgesamt konnten in diesem Block 180 Grabstätten ausgemacht werden. Boden­erhebungen am unteren Teil des Abhangs (parallel zur von-Stauffenberg-Strasse) und Bruchstücke von Grab­steinen weisen darauf hin, daß in diesem Bereich viele Steine nicht mehr vorhanden sind. Auf 9 Gräbern stehen noch Bruchstücke von Steinen. Ein Beerdigungs­buch der Synagogen­gemeinde weist auf eine große Anzahl von Verstorbenen hin. Das erklärt die Größe von Block A und zeigt, daß die Fläche zum größten Teil belegt ist.

In Block B sind noch 334 Grabstätten sichtbar, die zeitlich zwischen 1857 und 1939 angelegt wurden. Die fast durchweg eingehaltene chronologische Reihenfolge weist darauf hin, dass hier fast alle Grabsteine an ihrem ursprünglichen Platz stehen. In der Mitte von Block B sind noch einige Kindergräber erhalten.

InBlock C gibt es 106 Gräber, davon 14 Doppelgräber. Die Grabstätten datieren zwischen 1914 und 1990.

In Block D gibt es 39 als Doppelgräber bzw. Familien­gräber vorgesehene Grabstätten, von denen 22 mit 2 Verstorbenen belegt sind und außerdem ein Kindergrab, die zeitlich zwischen 1914 und 1940 angelegt wurden. Im oberen Teil von Block D stand die 1947 abgerissene Friedhofshalle.

Auf dem Friedhof in Niederbieber sind bestattet: 815 Verstorbene mit Grabstätten, davon 19 nicht identifizierte Gräber, 7 unbekannte Personen und 21 Kinder. 294 Verstorbene sind ohne Grabstein, davon 114 Kinder. Insgesamt sind 1109 Verstorbene dokumentiert.

Friedhofseingang

Der Eingang des Friedhofes befindet sich in der Kurt Schuhmacher-Straße.

Das Tor ist am Tag für jeden Besucher offen!

 

 

 


Quellen:

 

Rolf Wüst: Vortragstexte zu den Friedhofsführungen

Naftali Bar-Giora Bamberger, Memorbuch: „Der jüdische Friedhof in Neuwied-Niederbieber 2000“, Herausgeber: Deutsch-Israelischer Freundeskreis Neuwied

Münchener Begräbnisverein e.V. : Symbole auf jüdischen Grabsteinen

Institut für Israelogie, Gießen

Naftali Bar-Giora Bamberger: Vorwort zum Memor-Buch "Der jüdische Friedhof in Neuwied-Niederbieber", überarbeitet im Sommer 2000 von Barbara Runkel

Lageplan des Jüdischen Friedhofs: Stadt Neuwied, April 1985

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